Original-Recherche ist manchmal so richtig spannend. So ne Mischung aus Hobby-Archäologie, Forensiker und Outboard-Pathologe. Hier zum Beispiel:
Da sehe ich auf einem Kleinanzeigen-Portal mal wieder einen alten Outboard-Tank. Spottbillig. Ich denk mir: "Mensch, das Ding kenn' ich." Hübsches Teil, will ich haben. Vorausgesetzt, dass es wirklich ein "alter" ist. Kein Hinweis auf den Hersteller. Verflucht, woher kenn' ich den bloß?
Also den Verkäufer angeschrieben: wer ist der Hersteller bzw. an welchem Motor wurde der Tank eingesetzt? Die Antwort kam postwendend: "Der Tank stammt aus dem Nachlass meines Schwiegervaters... keine Ahnung, wo er den Tank her hat, hier hat nie jemand einen Außenborder oder ein Boot besessen." Na toll.
Irgendwo habe ich das Ding schon mal gesehen. Aber wo? Hirn zermartert, ich komm' nicht drauf. Und mittlerweile liegt hier so viel oller Kram... wo soll ich da anfangen? Alte Kataloge geblättert. Stunden später ein erster Lichtblick, gefunden im Scott-Atwater-Hauptkatalog von 1956:
Das ist der Tank. Der zweite von oben, der kleine 3-Gallons-Tank. Jedenfalls "fast"... denn der hat nicht diese markante sternförmige Sicke obendrauf, sondern eine schlichte ovale. Ansonsten alles identisch, selbst der Motoranschluss. Vielleicht ein anderes Baujahr?
Und dann ist da nochwas ganz seltsam: die drei großen, Mercury, Evinrude, Johnson, bzw. OMC... die hatten bereits in den 50ern europäische Niederlassungen. Darum findet man diese alten Tanks heute noch recht problemlos in Deutschland, mal abgesehen von den reinen Renntanks. Aber die "kleinen" wie z.B. Scott Atwater oder Sears... die konnte man m.W. nur in Amerika kaufen. Darum habe ich von diesen anderen Herstellern bisher noch nicht einen einzigen alten Tank (oder Motor oder sonstiges Zubehör) auf europäischen Web-Plattformen gefunden. Wie zum Teufel soll dieser Tank nach Deutschland gekommen sein? Oder... vielleicht ist es ja doch ein ganz anderer?
Emails in die USA. Die Fachleute müssen das doch wissen. Antwort: ja... das ist irgend ein alter Elgin oder Scott McCulloch oder Scott Atwater oder Sears... irgendwas in der Richtung. Hm. Soweit war ich auch schon. Ich wüsste es aber gerne genauer, am liebsten inklusiv Baujahr. Nebenbei: Scott, Sears, Elgin... das war alles ein und dieselbe Firma. Auch die Außenborder Champion, Hiawatha und Firestone kamen aus dieser einen Schmiede. Damit könnte der Tank zu jedem dieser Motoren gehören.
Also weiter recherchieren: jetzt ist ebay USA dran, genauer gesagt: die abgelaufenen Auktionen. Manchmal eine gute Infoquelle. Vielleicht ist da was dabei. Und plötzlich finde ich den hier:
Das ist er! Bis ins Detail!
Der Verkäufer schreibt, er wüsste nicht, wer der Hersteller sei. Aber ein separates Foto der Tankaufschrift hat er gemacht. Zum Glück:
Alles klar, das ist definitiv ein Sears-Tank.
Irgendwann aus den 50ern oder 60ern, man weiss es nicht genau. Also wird "meiner" wohl auch einer sein, wie auch immer der nach Deutschland gelangt sein mag. Das ist Info genug: Tank gekauft, schlappe 10 Euro. Das lässt sich verschmerzen. Einfach 2 Stunden nicht rauchen. Oder 3 Monate nix trinken. Schon ist die Kohle wieder drin.
Ein paar Tage später trifft der Kleine hier ein. Hübsches Teil, hässlich überlackiert, aber das macht nix. Die Farbe muss eh runter, das wird alles entrostet. Das originale "SEARS"-Schriftfeld hab ich schon während der Wartezeit rekonstruiert und als Decal drucken lassen.
Abends stehe ich voller Tatendrang in der Werkstatt und will gerade die dicke Stahlbürste ansetzen und die alte Farbe runterschrubben. Da sehe ich plötzlich was: da ist irgendeine gaaaanz flache Erhebung in der unteren rechten Ecke. Rechteckig, wie ein altes Decal. Konnte man bei Tageslicht nicht sehen, erst die olle Neonröhre bringt diese winzige Lackkante zum Vorschein. Ist da etwa noch ne originale Beschriftung unter der Farbe? Das wäre der Kracher.
Nervös wie ne 14-jährige vor der ersten Tanzstunde versuche ich, den Lack mikrometerweise mit 600er Naßschleifpapier abzutragen. Die dicke pampige Lackschicht dieser nachträglichen Überlackierung muss runter, aber gleichzeitig darf der hauchfeine Aufdruck des Decals (falls da wirklich eins sein sollte!) nicht verletzt werden. Kann das überhaupt funktioneren? Wie dünn ist so eine Druckschicht... vielleicht 2 Mikrometer? Kriegt man die freigelegt, so dass sie noch lesbar ist? Na herzlichen Glückwunsch.
Eine Stunde später die Antwort: ja, kriegt man. Zwar nicht sauber, aber gut genug, um sie lesen (und digital rekonstruieren!) zu können. An manchen Stellen ist die Schrift schon durchgeschliffen, an anderen klebt noch der Lack drüber. Und dann die Überraschung:
Kein Sears! Ein Scott- (McCulloch-) Tank. Na toll, kann ich die Sears-Decals wieder entsorgen. Aber dafür lässt sich jetzt das Baujahr besser eingrenzen:
- der Tank muss nach 1956 gebaut worden sein, sonst würde "Scott-Atwater" draufstehen. 1956 wurde Scott-Atwater an McCulloch verkauft und produzierte danach nur noch unter dem Namen SCOTT.
- der Tank muss vor 1967 gebaut worden sein, denn danach produzierte SCOTT (McCulloch) keine Außenborder mehr.
Sukzessiv liess sich das Datum noch weiter einschränken (nach 1964 hiessen die Motoren nur noch "McCulloch", bis 1959 gab es aber noch Restbestände an "Scott-Atwater"-Motoren, etc.), so dass letztlich nur noch ein Zeitraum von knapp 5 Jahren als mögliches Baujahr übrig bleibt.
Ach, man kann seine Zeit mit diesen Dinge(r)n so wunderbar sinnlos-produktiv verschwenden.